Wunschmaschine Jerusalem

Souvenirs: Jerusalem

Ausstellung/Detail: Souvenirs aus Jerusalem

[WINA - DAS JÜDISCHES STADTMAGAZIN | September 2015]

Das Jüdische Museum Hohenems unternimmt mit der Ausstellung “Endstation Sehnsucht. Eine Reise durch Yerushalyim–Jerusalem–Al Quds” eine symbolische Tour de Force durch die Heilige Stadt.

Von Paul Divjak

Draußen drückt die trockene Hitze, vor der ehemaligen Villa Heimann-Rosenthal steht die Sonne hoch am Firmament, und man meint bereits im Vorfeld, im Garten des Museums, die Gerüche Jerusalems wahrzunehmen; lagen da nicht eben Spuren von Koriander und Kardamom in der Luft? Das Aroma von Kreuzkümmel und gebackenem Pita-Brot, eine Idee von Etrog, Weihrauch und Haschisch, erhitztem Stein und Pinien?

Der Weg führt in den Keller des Jüdischen Museums, hier hat man ein vielschichtiges Stationendrama instal liert, das reliefartig Form angenommen hat, ist die Befragung des Projektions- und Sehnsuchtsorts „Jerusalem“. Eingangs stimmt ein kurzes Video auf die konfliktbeladene Thematik jenes Ortes ein, der drei Weltreligionen als heilig gilt. Die Kamera erfasst Gläubige aller Konfessionen, steinewerfende Jugendliche; brennende Reifen, Rauch, gesperrte Straßen, Mülleimer als Barrieren; vermummte Gesichter, wir hören Schreie, Rufe. – Was sich vor unseren Augen auftut, sind getrennte Welten, gemeinsame Hoffnungen, „shared promises“ (Yonathan Weismann).

Die Straßenbahn als Leitmotiv. Die Straßenbahnlinie, die seit drei Jahren die Stadt durchkreuzt und un- terschiedliche Stadtteile und verschiedene Lebenswelten verbindet, bildet nur das vordergründige Narrativ der In- szenierung; die dichte Ausstellung zeigt Szenen aus dem Alltag der Menschen in Jerusalem. Ob Jung oder Alt, ob jüdische oder arabische Israelis, Palästinenser, Christen, Touristen – orthodox oder säkular: Mit ihren Fotos unternimmt die Künstlerin Galia Gur Zeev ein Mapping Jerusalems, seiner Aneignungen und Interpretationen. Was sich einschreibt, sind Historie und Gegenwart, blühendes Leben und Tristesse, religiöse Konzepte, vergangene und gegenwärtige Konflikte und Utopien.

Wir sehen Soldatinnen, Touristen in Yad Vashem, spielende Kinder, engagierte Mitglieder politischer Initiativen, Marktstandler, Menschen in Parks, auf der Straße, Familien mit Kinderwägen, telefonierende AktivistInnen, Frauen mit und ohne Scheitel, Straßenmusikanten – und noch mehr Gläubige.

Die Bilderwelten schlängeln sich filmkadergleich als Abfolge von Stills durch den Ausstellungsraum, um Ecken, in die Nischen und Nebenräume. Sie schlagen neue Richtungen ein, als erkundeten sie den Raum und die Möglichkeiten, facettenreiche Abbilder von Wirklichkeit zu entfalten und die Leinwand als Gussform im Sinne Bazins zu erkunden, den Wandel von Dargestelltem und Rahmung auszuloten. Sie schmiegen sich an, winden sich und fügen sich bis in den letzten Winkel szenografisch perfekt in die Räumlichkeiten des Museums ein.
Ausgewählte Objekte (Reliquien, Souvenirs, historische Materialien) erzählen ergänzend von der Ambivalenz des Ortes und von der Sehnsucht all derer, die durch die Zeiten Anspruch auf ihn erheben.

Die Wegstrecke durch die Ausstellung. Die Wegstrecke durch die Ausstellung führt vorbei an Memorabilia, die auf die Staatsgründung und Emigrationsgeschichten verweisen, an Attentatsorte, dem Zentralen Busbahnhof, sie verläuft über die Hängebrücke von Santiago Calatrava, unsere Blicke fallen auf eine Tanakh aus dem Jahr 1939, zwei Dreidels und eine Single (Yerushalayim Shel Zahav), muslimische Kühlschrankmagneten („Jerusalem“) und Schlüsselanhänger. Wir passieren den Mahane-Yehuda-Markt, historische Zeitungen und Pamphlete, die Lämelschule, Speisekarten, das Friedhofs-Bauprojekt des Wiesenthal-Centers (Museum of Tolerance), ein Shopping-Center, die Zitadelle, das Jaffa-Tor.

Die Aufmerksamkeit wird nun auf ein Modell der Grabeskirche gelenkt, die Altstadt, den Tempelberg, den Felsendom, Haram al-Sharif. Ein kurzer Blick zum Ölberg, dann: das Temple Institute, die Klagemauer, Kotel, die Ir David Foundation (Elad), die Stadtmauer, das Österreichische Hospiz und Feldpostkarten der k. u. k. Armee aus Jerusalem. Das Damaskus-Tor zieht vorbei, Ost-Jerusalem, das American Colony Hotel, Moscheen, Neubauten im arabischen Viertel Scheich Dscharrah kommen ins Blickfeld.

Dann verlangsamt sich das Tempo, wir navigieren in Richtung der jüdischen Siedlungen in Pisgat Zeev, sehen abgebrannte Fahrscheinautomaten, Wohnblocks und das Flüchtlingslager Shuafat (das innerhalb der Stadtgrenze Jerusalems und außerhalb der Mauer liegt).

Die Bewegung, die in der Ausstellung beschrieben wird, gleicht einem eklektizistischen Mäandern im Themennetz. Motive und Verweise werden aufgegriffen, der Versuch einer Annäherung an die umfassende Projektionsfläche „Jerusalem“ erfolgt mittels medialer Repräsentationen, verstreuter Artefakte und umfassender Vermittlungsangebote. Allesamt Assemblagen im Sinne von Deleuze/Guattari, „Ensembles von Praktiken und Gegenständen“, die sich „entlang von Achsen von Territorialisierung und Entterritorialisierung“ entfalten.

Das Verwinkelte der Inszenierung. Das Verwinkelte der Inszenierung, die Unmöglichkeit, ein Bild des Ganzen zu erhalten, gleichsam eine Zentralperspektive einzunehmen, spiegelt die Vielschichtigkeiten der symbolischen, religiösen und politischen Nischen und Weltsichten wider. Die Komplexität der Situation und Spannungsfelder ist potenziell ausufernd.

Schwelende Konflikte und desire paths, wohin man auch blickt; und was eint, ist der Wunsch nach Alltag und Normalität. Die Ausstellung nimmt uns mit auf eine Reise zu verschiedenen Stationen, von denen aus thematische Nebenstränge erschlossen werden; Kupplungen und Verschaltungen. Was sich auftut, sind ideologische Verweise, historische Referenzen, individuelle und kollektive Narrationen, Lesarten der Stadt – vergangene, gegenwärtige und mögliche zukünftige.

Wie auch Tennessee Williams gleichnamiges Stück, dessen Titel man sich als poetisch-utopische Referenz geborgt hat (im Original: A Streetcar named Desire), beschreibt die Ausstellung das Aufeinandertreffen von Kulturen in Bewegung. Sie trägt dergestalt dazu bei, tradierte Sichtweisen, die sich wie verstärkte Straßenbahn-Panzerglasscheiben vor die Wahrnehmung der heiligen Stadt geschoben haben, bewusster wahrzunehmen und scheinbar unüberbrückbare Distanzen zu überwinden.◗

Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: Hannes Sulzenbacher, Hanno Loewy (Hg.): Endstation Sehnsucht. Eine Reise durch Yerushalayim-Jerusalem-Al Quds. Mit Fotografien von Galia Gur Zeev. Parthas Verlag, 300 S., € 29,90



wir arbeiten in der finsternis

wir tun was wir können

Nightshifts #33

[vortrag zum auftakt der reihe "crossings. neue kategorien in der kunst". depot, wien 2004]

die medien sind auf der suche nach dem besonderen. aus verständlichem grund. es geht um aufmerksamkeit. es geht um auflage. – und was dann kommt sind doch nur re-aktualisierungen von stereotypen aus dem tiefenspeicher des medialen gedächtnisses, altbekannte topoi im endlos-loop.da bewegen sich, ganz in romantischer tradition, autoren als eremiten durch die landschaft, da werden künstlerinnen vor, in und um ihren installationen portraitiert und die verkantete handkamera vermittelt ein weiteres mal “innovation”.

da sitzen regisseurInnen im parkett und philosophieren in versatzstücken über die aktualität eines klassikers.- und alle machen sie mit.
auf allen kanälen, die immer gleichen bilder. die immer gleichen geschichten. — mehr —


Chronik der Gefühle

Stefan Slupetzky

Foto: ©Julia Maetzel

[WINA - DAS JÜDISCHE STADTMAGAZIN | August+September 2016]

Stefan Slupetzky widmet sich als Wanderer zwischen den Welten in seinem neuen Buch der Aufzeichnung von Existenziellem.

Von Paul Divjak

Auf eine literarische Erzählzeit von zwei Tagen verdichtet Stefan Slupetzky in seinem neuen Buch „Der letzte große Trost“ eine Familiengeschichte, in die sich die Zeitgeschichte eingeschrieben hat, als gälte es, den NS-Wahnsinn pars pro toto in der „Keimzelle des Staates“ auf den Punkt zu bringen: Galt doch die Liebe der jüdischen Großmutter einst ausgerechnet dem Spross aus dem Linzer Clan, der Zyklon-B hergestellt hat. Und das Enkelkind erzählt die Geschichte. — mehr —


Licensed To Ill

Zum Tod des Großmeisters der Zeremonie Adam Yauch

"Licensed to Ill" - wina, 6.2012 ©Paul Divjak[Erschienen in: wına – Das jüdische Stadtmagazin | Juni 2012]

Jene Nummer, die die Beastie Boys – damals noch als Punk-Band – in der High School 1983 intoniert hatten, sollte schon wenig später zu ihrem offiziellen Programm werden: „We’re the white shadow“, singt Mike D. aka Michael Diamond. Am Schlagwerk, temporär: Kate Schellenbach, die spätere Drummerin von Luscious Jackson, an der Stromgitarre John Berry und am Bass: Adam Yauch alias MCA.

John Berry verließ die Band, und Adam Horovitz (Ad-Rock) übernahm seinen Part. Der Rest ist Hip-Hop-Geschichte. Die drei weißen Jungs aus Brooklyn, NY, wilderten in einem Genre, das in der Black Community entstanden war, kreierten einen neuen Sound und schafften, was zu jener Zeit, Anfang der 1980er-Jahre, doch eher die Ausnahme denn die Norm war: Sie sprachen mit ihrem innovativen Hip-Hop-Rock-Crossover ein multiethnisches Publikum an, verwöhnten die juvenilen Fans mit expliziten Lyrics und vereinten sie auf den Tanzflächen der Clubs, auf Partys und im Rahmen ihrer legendären Live-Performance-Spektakel beim gemeinsamen Luftgitarre-Spielen, ekstatischen Mitwippen und -grölen sowie enthemmten Bierbecherweitwerfen. — mehr —


Forschungsreise an den Anfang der Architektur

Zur Ausstellung «Architektur beginnt im Kopf» im Architekturzentrum Wien

Architektur

[werk, bauen + wohnen 1/2-2009]

Manche greifen zum Gewehr, um anhand der Einschusslöcher Formfindung zu betreiben und zu Deleuze oder Foucault, um die Ideenfindung zu beschleunigen (R & Sie(n)). Andere züchten im grossen Stil Orchideen im Büro (Lacaton & Vassal) oder widmen sich dem Spiel mit Lego-Steinen, um bisher unentdeckte Synapsenverbindungen auszuloten (Edge Design Institute). Mancher sind die besten Gedanken stets im Liegen gekommen (Lux Guyer), für eine andere nahm der offene Kamin, an dem sie mit ihren MitarbeiterInnen diskutierte, eine wesentliche Schlüsselfunktion im Rahmen des «kleinen sozialistischen Projekts» und des konkreten Entwurfsprozesses ein (Lina Bo Bardi).

Architekten ticken verschieden. Fest steht, dass der Anfang der Idee, der Beginn der Genealogie eines einzelnen Projekts oder der gesamten Arbeit, architekturgeschichtlich zumeist im Dunklen bleibt. Dieser Tatsache wollte die Kuratorin Elke Krasny bewusst etwas entgegensetzen. Sie ist den Spuren des persönlichen Rituals, der ureigenen Herangehensweise an den Schaffensprozess gefolgt. Krasny hat dem Wie des Tuns nachgespürt, und präsentiert nach zweijähriger Feldforschung, unterstützt von Gudrun Hausegger und Robert Temel, eindrückliche und aufschlussreiche Ergebnisse im Architekturzentrum Wien (Az W). — mehr —