Die Kulissen Leben

Palace Hotel, St.Moritz ©Paul DivjakWERK, BAUEN + WOHNEN 6_2008 | KOLUMNE | PAUL DIVJAK

Wenn einem beim Spaziergang entlang eines glasklaren Baches in den Schweizer Alpen nicht seltene Wiesenblumen, sondern unvermittelt Golfbälle unterkommen, dann kann auch St. Moritz nicht mehr weit sein.

Ich nehme die Rolltreppe hinauf, direkt ins Zentrum der Gemeinde. Noch ein paar Schritte und das Portal des Palace Hotels gerät ins Blickfeld.

Verabredet zum Abendessen mit Freunden, bin ich mit meinen Gedanken ein paar Tausend Kilometer weit entfernt, in der Wüste, an einem möglichen Drehort, um genauer zu sein, und so öffne ich eine falsche Türe. – Mit einem Mal stehe ich im Wirtschaftstrakt des Hotels. Keine Vergoldungen, keine Verzierungen, keine schweren Vorhänge: ein karger Gang, schon länger nicht mehr ausgemalt, einfach beleuchtet; abgeschlagene Türen und rundum sichtbare Reduktion auf das Notwendigste. Fern sind die holzvertäfelten Decken, die hohen Säle, weitläufigen Räume und überbordenden Interieurs. Das koloniale Mobiliar, der historisierende Pomp, sämtliche Accessoires, die Exklusivität verheissen – jegliche Inszenierung des Mondänen: all das ist hier verschwunden. — mehr —


Über die Dörfer

©Paul DivjakWERK, BAUEN + WOHNEN | KOLUMNE | PAUL DIVJAK

Aus Heuersdorf, südlich von Leipzig gelegen, hatte man im Herbst 2007 die mittelalterliche Emmauskirche abtransportiert. Mit Hilfe eines Schwertransporters wurde das Gotteshaus in einen zwölf Kilometer entfernten Nachbarort verfrachtet. Die über 750 Jahre alte Kirche musste dem Braunkohleabbau weichen. Im Interesse der Allgemeinheit hatte der Verfassungsgerichtshof die Zerstörung von Heuersdorf genehmigt. Durch die Jahrhunderte von Zivilisation bestimmte dörfliche Struktur wurde zum Abbruch freigegeben, die Bevölkerung umgesiedelt. Bauernhöfe, Wohnhäuser, das Gemeindezentrum und der Friedhof werden in absehbarer Zeit verschwunden sein. Dann wird nichts mehr an die einstige Ortschaft erinnern. Und monströse Maschinen dominieren das Bild einer kargen Wüstenlandschaft. Ein Foto, das ein Hobbyfotograf im September des vergangenen Jahres in Heuersdorf aufgenommen hatte, zeigt das Detail eine Telefonzelle der Deutschen Telekom, an einer verwaisten Dorfstrasse. Auf dem Display des Apparates steht: «Entschuldigung – Nur Notruf möglich.» — mehr —


Sie sind Modelle

 WERK, BAUEN + WOHNEN 8_2008 | KOLUMNE | PAUL DIVJAK

Imposant stehen sie da, Erscheinungsform 1A. Sie sind auf Eindruck bedacht, ihre Masse sind perfekt. Auch im Zeitalter des Computerdesigns gibt es sie noch, und sie verstehen zu überzeugen, wie eh und je. Proper und perfekt gebaut sind sie, international präsent.

Sie sind die Ersten, sie sind die Vorhut. Da wo sie sind, nimmt alles seinen Lauf. Sie stehen im Rampenlicht, sie markieren den Unterschied. Wenn sie die Blicke auf sich ziehen, wird Geschichte gemacht. Mit ihnen geht es voran, wird Grösseres konkret. Sie sorgen für Diskussion, erzeugen Vorstellungen von möglicher Realität, sie definieren den Kanon.

Sie akkumulieren Interessen, ihre Inhalte sind ideologisch definierte Projektionsflächen. Blickwinkel und Lesarten formen ihre Hüllen. — mehr —


In der grauen Lagune

Mustersiedlung 9=12

Mustersiedlung 9=12   Foto: ©Pez Hejduk

WERK, BAUEN + WOHNEN | KOLUMNE | PAUL DIVJAK

Unterwegs mit dem Autobus nehmen wir zunächst einen kleinen Umweg durch das Weltall. Vorbei am Uranusweg, dem Mond-, und Juppiterweg geht es dann hinunter, direkt in Richtung eines kleinen irdischen Sumpfgebiets, das Jim Jarmusch zu «Down by Law» inspiriert haben könnte. Natürlich en miniature, alles viel kleiner hier, als drüben in Louisiana. Wir sind hier ja schliesslich in Österreich. In Hadersdorf, am Stadtrand von Wien, um genauer zu sein.

Kleiner, und viel lebensnaher als auf Fotografien, ist auch die «innovative Villenkolonie» (PR-Text), die enigmatische Mustersiedlung 9=12. Von Alfred Krischanitz initiiert, von insgesamt neun namhaften Architekten realisiert, der Betonindustrie ausstaffiert, und direkt am Friedhofsweg gelegen. Die Toten ruhen in unmittelbarer Nähe: sie machen keinen Lärm mehr. Das plötzlich einsetzende Getöse kommt von der nahegelegenen Westbahn. Exakt 9 Uhr 49. – Das muss der EuroCity nach Basel sein. — mehr —