Umwelttrauer? Nein, danke!

"Woods" ©MUELLER-DIVJAK

“Woods” ©MUELLER-DIVJAK

WINA – DAS JÜDISCHE STADTMAGAZIN 05_2023 | URBAN LEGENDS | PAUL DIVJAK

„Wir alle folgen einem Ruf. Aber dieser Ruf verändert sich immer wieder.“ Isolde Charim

Der vergangene Winter – das lässt sich, um Paul Watzlawick zu paraphrasieren, nicht nicht wahrnehmen – war schlichtweg zu warm. Auf der positiven Seite ist die Reduktion der (privaten) Heizkosten angesichts von Höchstpreisen und Rekordgewinnen bei Energieanbietern zu verbuchen. Auf der negativen Seite ist anzumerken, dass Schnee und Eis vielfach ausgeblieben sind. Ein Umstand, der nicht nur manchen Traum vom Après Ski zum Schmelzen gebracht hat, sondern der auch maßgeblich dafür mitverantwortlich ist, dass bereits im Frühjahr das Wasser mancherorts knapp wird oder gar gänzlich fehlt.

Hinsichtlich aktueller, miteinander in Wechselwirkung stehender Umweltkrisen ist für uns vieles nicht (mehr) direkt Greifbares zum ständigen thematischen Begleiter geworden; kurzfristig erregt eine polarisierende Horrormeldung unsere Aufmerksamkeit, versetzt uns in Angst und Schrecken (das bringt gewünschte Reichweite), lässt uns affektiv-reaktive Worthülsen absondern, bevor wir uns wieder dem ersehnten Rückzug in unseren Alltag widmen.

Mitunter scheinen wir uns in der beruhigenden Annahme zu wiegen, ein Problem sei gelöst, weil wir darüber gesprochen haben. Das auf uns wuchtig Einprasselnde und potenziell Überfordernde (handelt es sich um eine Tatsache oder vielmehr um Propaganda, um Fake?) verschärft sich in seiner medialen Reaktivierung von Mal zu Mal, es übersteigt unsere Kapazitäten. Die multiplen globalen Missstände und überreizenden Informationszumutungen sind für einen fühlenden, empathischen Menschen einfach nicht auszuhalten.
Die Ohnmacht wächst, das Verdrängen liegt nahe; kognitive Dissonanz wird zum Dauerzustand einer Gesellschaft. Und die Halbwertszeit des Vergessens wird noch einmal auf Beschleunigungsmodus gestellt: „Umwelttrauer? Nein, danke!“

Das große Rauschen der gespenstischen Szenarien tobt, in vermeintlicher Distanz zu unserer Konsum- und Wohlstandsblase, unmittelbar vor unseren Türen. Klima- und Umwelthorrormeldungen, dazu Krieg in Europa, bewaffnete Konflikte, weltweit, Flüchtlingselend, unmenschliches Agitieren, Hetze gegen Minderheiten – die traurige Liste ist lang, die Komplexitäten sind vielschichtig.

Bisweilen und immer öfter aber finden sich Menschen zusammen, beteiligen sich an gemeinschaftlichen, zivilgesellschaftlichen Initiativen und Aktionen, um auf lokaler, überregionaler und globaler Ebene an neuen, an alternativen Modellen zu arbeiten, um eine für alle lebenswerte Zukunft zu ermöglichen und politischen Entscheidungsträger:innen dringend notwendige Schritten nahezulegen, sie statt kurzfristigem Wahlerfolgsdenken für substantielle, längerfristige Maßnahmen zu gewinnen. Dafür braucht es freilich enormes Engagement und Durchhaltevermögen, ist doch gegenwärtig eine Art Backlash in Sachen Transformationsprozess der Gesellschaft zu beobachten: Gute Absichten und Visionen werden wieder hintangestellt, der Fokus wird vielfach wieder weiter auf überkommene Haltungen und Wirtschaftsmodelle und (kurzfristige) Gewinnmaximierung gelegt – und „Nachhaltigkeit“ ist dabei nichts als ein hohles Marketingversprechen.
Von Tag zu Tag scheinen wir uns als Narzisst:innen und maßlose Hedonist:innen mehr und mehr in der Hoffnung zu wiegen, dass die Technologie der Zukunft für uns als Spezies ohnehin alles wieder ins Lot bringen werde. Auf planetarem Level, versteht sich. Vordergründig frönen wir weiter dem Hyperkonsum, ganz so wie bisher – aber wir trennen unseren Müll und haben uns als Zweitauto selbstverständlich einen Elektrowagen zugelegt.

Im Sommer lädt jetzt übrigens auch der St. Moritzersee zum Schwimmen ein – bisher war der auf 1.768 Metern über dem Meer liegende Gebirgssee doch etwas zu kalt für den erfrischenden Ferienbadespaß.
An palmengesäumten, südostasiatischen Traumstränden wiederum sorgt, mit freiem Auge zunächst gar nicht als solches erkennbar, tonnenweise mikrofeines Plastikgranulat im Sand, an den Muscheln, an Schwemmholz und angespültem Müll für farbenfrohe Urlaubsstimmung.

[wina - 05–2023]



Destination Wien 2015

Wien; Heldenplatz (2013) ©Paul DivjakWINA – DAS JÜDISCHE STADTMAGAZIN 5_2015 | URBAN LEGENDS | PAUL DIVJAK

Wien scheint immer noch unter einer Glocke der denkmalgeschützten Historie zu schlummern. – Bisweilen aber erschließen sich auch in der Erinnerungskultur erweiterte, neue Perspektiven.

Die Tage rumorte es wieder einmal im Archiv; das Video Heldenplatz, 1973 kursierte im Netz, zog seine Spur durch die sozialen Plattformen. Zum Vorschein kam eine nur auf den ersten Blick unscheinbare ORF-Interviewserie, entstanden Anfang der Neunzehnsiebzigerjahre auf dem Wiener Heldenplatz. Was sich als alpenländische Tableaux Vivants vor dem Hintergrund des historischen Ortes auftat, hätte prototypische Alltagsfaschismusfolie für Qualtingers „Herrn Karl“ oder Thomas Bernhards 1989 uraufgeführtes gleichnamiges Theaterstück sein können. — mehr —


R.I.P

WINA – DAS JÜDISCHE STADTMAGAZIN 10_2017 | URBAN LEGENDS | PAUL DIVJAK

„I’m walking through deep water / I have no time to lose …“ Arthur Cave (2000-2015)

Ganz allgemein ist vom Verdrängen des Todes in unserer Kultur die Rede, dabei haben wir es auf der einen Seite mit einer Privatisierung des Sterbens und der professionalisierten, institutionalisierten Verwaltung des Todes und auf der anderen mit einer dauerhaften Präsenz des mediatisierten Sterbens zu tun.

Die Meldungen über Krieg, Terror, menschengemachte und naturbedingte Katastrophen, Flüchtlingselend und Hungersnöte gehören zum Medienalltag; der beständige Todes-Nachrichtenfluss kratzt an unseren Wahrnehmungsfiltern.

Der Tod ist allgegenwärtig in Nachrichten, Filmen, Games und Co.; die Unterhaltungsindustrie ist gerade zu besessen von Inszenierungen der Gewalt, des Kämpfens, Tötens und Sterbens. Und uns KonsumentInnen sind diese Repräsentationen des Todes wohl gleichsam Nervenkitzel und willkommener Bann, ganz so als ließe sich, – gleich einem techno-schamanistischen Schutzzauber –, der eigenen Sterblichkeit – zumindest eine Zeitlang – ein Schnippchen schlagen, die Todesangst ein wenig besänftigen. — mehr —


Der Besuch der alten Dame

"Gustav Klimt" ©Paul DivjakWINA – DAS JÜDISCHE STADTMAGAZIN 3_2015 | URBAN LEGENDS | PAUL DIVJAK

Eine Frau geht ihren Weg. Hell leuchtet ihr das symbolische Licht der Gerechtigkeit entgegen. Hinter ihr und ihrem Begleiter zeichnen sich die Schatten der Vergangenheit ab: Hollywood erzählt den Rechtsstreit Maria Altmann vs. Republik Österreich. — mehr —


Die Zeit der Zeitfenster

Futurium ©Paul DivjakWINA – DAS JÜDISCHE STADTMAGAZIN 1_2019 | URBAN LEGENDS | PAUL DIVJAK

„Buchen sie ein Zeitfenster!“ –
Willkommen in der Kultur der Masse,
des Spektakels und der Effizienz.

Haben sie ein Zeitfenster? – Sie brauchen ein Zeitfenster-Ticket“, sagt der rothaarige Museumsmitarbeiter mit der Kippa. Über Umwege stehe ich dann kurz darauf in James Turells Installation Ganzfeld „Aural‘“ im Jüdischen Museum in Berlin. Einen „gleichsam überirdischen Raum, der die Regeln der weltlichen Erfahrung außer Kraft zu setzen scheint“ hätte Turell, der „Bildhauer des Lichts“, geschaffen, heißt es auf dem Flyer, der mit in die Hand gedrückt wurde. — mehr —