Auf den Spuren von Familie Freud

Fassade: Freud-Museum Shop & Café ©Paul Divjak

Fassade: Freud-Museum Shop & Café

WINA – DAS JÜDISCHE STADTMAGAZIN 01_2021 | URBAN LEGENDS | PAUL DIVJAK

»Wir kennen nur den leeren Raum im Wald,
der gestern voller Bäume war.«
Anna Freud

Die knallige, phallische FREUD-Logo-Stele vor dem Haus Berggasse 19 ist verschwunden. Die Gründerzeithäuser der gegenüberliegenden Straßenseite spiegeln sich in der neuen, ausgedehnten Glasfront, über der eine Markise à la Gastgarten angebracht worden ist. Zwei große, kreisrunde Lüftungsauslässe irritieren neben einer für BesucherInnen gesperrten Wirtschaftstüre. Im ehemaligen Geschäftslokal, in dem vor einigen Jahrzehnten Boote zum Verkauf in einem Wasserbecken vor Anker lagen, befinden sich heute Café und Foyer. Ein seitlicher, in den Baukörper zurückversetzter Eingang, wirkt wie ein düsterer Hinterausgang eines erst kürzlich eröffneten Clubs, dem die Patina der Nacht noch fehlt.
Über dem Hauptportal prangt nun „Sigm. Freud Museum“. Die der Signatur des Professors entlehnte Abkürzung des Vornamens ist in das neue Logo eingeflossen. Lampenartige, über die gesamte Länge der Fassade verteilte Überwachungskameras lassen an Objekte mit größerem Sicherheitsrisiko denken. Was für Zeiten, in denen selbst die ehemaligen Wohn- und Arbeitsorte berühmter, toter JüdInnen derart gesichert werden müssen!

Was feststeht, ist, dass das Museum für den Massenansturm der Freud-Fans aus aller Welt gewappnet ist. Neben Shop, dem besagten Café und einer neuen Bibliothek verfügt es nun auch über ein zweites Stiegenhaus – in dem unter anderem alle ehemaligen, vertriebenen und ermordeten, BewohnerInnen des Hauses namentlich genannt werden.
Gegenwärtig präsentiert sich das Haus mit seiner erweiterten Ausstellungsfläche aufgrund der Situation 2020 freilich oftmals nahezu ausgestorben. Die Leere lädt zu ausgedehnten Raumerkundungen und vertiefender Erinnerungsarbeit ein.

Die Fotografien von Edmund Engelman, entstanden kurz vor der Flucht der Freuds 1938, treten mit den aktuellen Raumsituationen von Praxis und Privatwohnung in Dialog. Das Spannungsfeld von Vergangenheit und Gegenwart erzählt exemplarisch von Lebensrealitäten und dem Wahnsinn von Vertreibung und Vernichtung.
Als BesucherInnen spiegeln wir uns in der „Psyche“ der Freuds, einer Kommode aus dem Besitz der Familie, durchschreiten die neu adaptierten und behutsam revitalisierten Zimmer, stoßen auf freigelegte Schichten der Vergangenheit und lesen unter einem quadratischen Fitzelchen Restornament an einer Fensternische: „Die Wandmalerei (womöglich aus der Freud-Zeit) ist teilweise freigelegt.“

Es ist ganz tröstlich, dass dieser Museumsumbau nicht auf Erlebnisarchitektur und spektakuläre Szenografien setzt und das Alte, das Improvisierte und das bisweilen sogar Widerständige dieses speziellen Ortes in manchen Momenten noch ein wenig aufblitzt.
Im Untergeschoss leuchtet hinter einer verschlossenen, metallvergitterten Türe grelles Licht; der Keller der Freuds liegt im Hellen.

[wina - 01.2021]



Im Schlund

Chanel store, Vienna ©Paul DivjakWINA – DAS JÜDISCHE STADTMAGAZIN 5_2017 | URBAN LEGENDS | PAUL DIVJAK

„We´re robots, made of robots, made of robots.“ Daniel Dennett

Die so genannte Zeitlinie der Zuckerberg´schen Prosumentenplattform hält einen tagtäglich auf Trab. Schließlich gilt es, nichts zu versäumen, Klicks und Likes zu verteilen, soziales Engagement zu beweisen und ein paar persönliche Spuren zu hinterlassen. Und mitunter platzen all die kleinen Filterblasen, und wir finden uns wieder in einer Monsterbubble, in der grelle Infohäppchen aufpoppen und um unsere Aufmerksamkeit buhlen: Fakten, Fiktionen und herrschende Narrationen wirken zeitgleich auf uns ein, erzählen von einer Welt, die mit jedem Weiterscrollen das Parallelgeschehen noch absurder erscheinen lässt. — mehr —


Die Schönheit der Leere

Museum of Emptiness, St.GallenWINA – DAS JÜDISCHE STADTMAGAZIN 10_2016 | URBAN LEGENDS | PAUL DIVJAK

„There are moments in our lives, there are moments in a day, when we seem to see beyond the usual.“ Robert Henri („The Art Spirit“)

In St. Gallen hat die in Israel geborene und in der Schweiz lebende Künstlerin Gilgi Guggenheim dieser Tage ihr Museum der Leere eröffnet. Einen ganz speziellen Ort, der durch Abwesenheiten glänzt und dazu einlädt, die Fülle der Leere zu erleben. — mehr —


Zimmer mit Aussicht

Hochhaus Herrengasse, Terrasse ©Paul Divjak

Hochhaus Herrengasse, Terrasse ©Paul Divjak

WINA – DAS JÜDISCHE STADTMAGAZIN 11_2012 | URBAN LEGENDS | PAUL DIVJAK

„In seinen tausend Honigwaben speichert der Raum verdichtete Zeit.“
Gaston Bachelard

Der Concierge begrüßt einen freundlich aus seiner verglasten Loge; wir befinden uns nicht in einem Appartementhaus in New York, sondern mitten im Stadtzentrum von Wien, in der Herrengasse.

Beim ältesten Hochhaus der Stadt, errichtet vom Architektenteam Theiss & Jaksch Anfang der 1930er-Jahre, handelt es sich um eine stadtplanerische Meisterleistung, sieht man ihm doch aufgrund seiner abgestuften Terrassenbauweise die Höhe von 53 Metern von den engen Straßen und Gassen der Innenstadt aus nicht an. Nichtwissende Passanten würdigen die Fassade keines weiteren Blicks. — mehr —


Die Zeit der Zeitfenster

Futurium ©Paul DivjakWINA – DAS JÜDISCHE STADTMAGAZIN 1_2019 | URBAN LEGENDS | PAUL DIVJAK

„Buchen sie ein Zeitfenster!“ –
Willkommen in der Kultur der Masse,
des Spektakels und der Effizienz.

Haben sie ein Zeitfenster? – Sie brauchen ein Zeitfenster-Ticket“, sagt der rothaarige Museumsmitarbeiter mit der Kippa. Über Umwege stehe ich dann kurz darauf in James Turells Installation Ganzfeld „Aural‘“ im Jüdischen Museum in Berlin. Einen „gleichsam überirdischen Raum, der die Regeln der weltlichen Erfahrung außer Kraft zu setzen scheint“ hätte Turell, der „Bildhauer des Lichts“, geschaffen, heißt es auf dem Flyer, der mit in die Hand gedrückt wurde. — mehr —