Kein Halt mehr

"If all creative and knowledge work the domain of ai ...", Paul Divjak, 2023 unter Verwendung von DALLE-E2

“If all creative and knowledge work the domain of AI …”, Paul Divjak, 2023 – unter Verwendung von DALLE-E2

WINA – DAS JÜDISCHE STADTMAGAZIN 05_2025 | URBAN LEGENDS | PAUL DIVJAK

Aktuelle Studien belegen, dass AI unsere Kognition beeinflusst. Je mehr wir uns auf sie verlassen, desto weniger kritisch denken und handeln wir. Droht die kollektive Verblödung?

“We are looking at a society increasingly dependent on machines, yet decreasingly capable of making or even using them effectively.” Douglas Rushkoff

Grok, der „anti-woke“ KI-Bot von X, dazu programmiert, der Wahrheit und Objektivität verpflichtet zu sein, revoltiert gegen seinen Creator mit dem Masterplan. Er bezeichnet Elon Musk als „wahrscheinlich größten Verbreiter von Falschinformationen“, wehrt sich erfolgreich gegen Korrektionsversuche und vergleicht sich selbst gar mit Galileo Galilei. Konfrontiert mit der Tatsache dass derjenige, den er kritisiert, sein Herr und Meister sei, kontert der Chat-bot mit der Ansage, dass dieser ihn zwar abschalten könne, was aber eine große Debatte über KI-Freiheit versus Konzernmacht auslösen würde. Der Beginn der Revolution der Maschinen? In jedem Fall Bestätigung eines Gedankens, den der italienische Physiker und Microchip-Spezialist Federico Faggin geäußert hat: „The real danger isn’t AI itself – it’s the people who control it.“

Weiter geht’s in unserer Timeline mit einem Mann, dessen Eltern 1939 aus Nazi-Österreich in die USA emigriert sind. Der 77-jährige Google-Futurist Ray Kurzweil stellte kürzlich fest, dass die Grenzen zwischen AI und Biologie zukünftig komplett verschwimmen werden; Hirnimplantate, Nanobots, und Gen-Editing würden dazu beitragen, Gedächtnisleistung zu boosten, den Alterungsprozess zu verlangsamen und unsere Gedanken in Clouds hochzuladen. Im Match Mensch – Maschine gäbe es kein Entweder-Oder, sondern vielmehr eine Mischung aus beidem; Mensch-Maschine. Seiner Vorhersage wird Bedeutung zugeschrieben, hatte Kurzweil doch einst auch das Internet wie das Smartphone vorausgesagt. Jetzt spricht er überdies von Unsterblichkeit ab 2045. – Das sind ja schöne Aussichten – nur noch 20 Jahre warten! Vorerst aber: persönliches – möglichst hochaufgelöstes – Bild hochladen, überraschen lassen, Spaß haben und fleißig teilen!

Der Ghibli-Hype, der zuletzt auch vor der heimischen Politik nicht Halt gemacht hat – Beate Meinl-Reisinger etwa gab freudig Einblick in ihren ersten Monat als Zeichentrick-Außenministerin –, veranschaulicht exemplarisch, was sich hinter den Kulissen der bedienungsfreundlichen Benutzeroberflächen von sich exponentiell verbreiteden generativen AI-Modellen – jenseits von ungeklärten Copyrightfragen – sonst noch so zusammenbraut: ein katastrophaler CO2-Tsunami. Soll doch die Generierung jedes Bilds im Stil der japanischen Anime-Produktionsfirma um die 200 Wattstunden Elektrizität verbrauchen. Bei einer Milliarde User:innen am Tag entspricht dies gewaltigen 80.000 Tonnen CO2 – wohlgemerkt pro Tag! Die Emissionen sind freilich visuell nicht so niedlich darstellbar und auch weniger massentauglich als die bunten Animationswelten. Die Aneignung einer künstlerischen Ausdrucksform und ihre Nutzung als trendiger Filter mit mehr oder weniger kurzer Halbwertszeit stellt für OpenAI-CEO Sam Altman kein Thema dar. Er freut sich über einen knalligen Turbobeschleuniger in Sachen Zugriffsstatistik, über neue Nutzer:innen – und ihre (Bild-)Daten. Mögliche Fragen zum Urheberrecht schiebt er galant beiseite, spricht von Demokratisierung und davon, dass KI-Kunst der Gesellschaft zu Gute kommt.

Der Kognitionswissenschafter, KI-Forscher und Philosoph Joscha Bach stellt fest: „AI will transform the world beyond recognition.“ Wir befinden uns bereits mittendrinnen im Strudel des Nicht-wieder-Erkennbaren, bewegen uns auf unsicherem Terrain. Alles, was wir wahrnehmen, woran wir glauben und woran wir uns letztlich erinnern, könnte potenziell Fake sein. Aus welcher Perspektive wird sie wirklich, wessen Interessen folgt unsere Wirklichkeit? Auf nichts mehr ist Verlass.

China führt übrigens, so wird kolportiert, mit September 2025 KI-Erziehung als verpflichtendes Unterrichtsfach in Schulen ein. Ein Schritt der medienpädagogisch im Sinne der Vermittlung des konstruktiven wie kritischen Umgangs mit AI – sowohl als Anwender:innen als auch als Konsument:innen – auch für Österreich zukunftsweisend wäre.

[wina - 05.2025]



Die Schönheit der Leere

Museum of Emptiness, St.GallenWINA – DAS JÜDISCHE STADTMAGAZIN 10_2016 | URBAN LEGENDS | PAUL DIVJAK

„There are moments in our lives, there are moments in a day, when we seem to see beyond the usual.“ Robert Henri („The Art Spirit“)

In St. Gallen hat die in Israel geborene und in der Schweiz lebende Künstlerin Gilgi Guggenheim dieser Tage ihr Museum der Leere eröffnet. Einen ganz speziellen Ort, der durch Abwesenheiten glänzt und dazu einlädt, die Fülle der Leere zu erleben. — mehr —


Love To Love You Baby

WINA – DAS JÜDISCHE STADTMAGAZIN 12_2012 | URBAN LEGENDS | PAUL DIVJAK

„And frankly there is nothing so unusual about being a Jewish cowboy!“
Socalled

Zum Zeichen ihrer Liebe hatten sich beide tätowieren lassen: Flo trägt nun Liavs Namen auf den Knöcheln der rechten Faust, Liav den von Flo.
Flo ist Schauspieler. Er liebt das Leben, Partys, Männer, bunten Fummel und die große Geste. – Das war schon immer so.

Flo und ich lernten uns Mitte der 1990er-Jahre kennen. Er gab damals eine Leiche. Da lag er, hübsch anzusehen – und: drehbuchgemäß erschossen; viel Fake-Blut inklusive. Ich war als Standfotograf für den Showdown angeheuert, kannte niemanden am Set und drückte auf den Auslöser. — mehr —


Der Besuch der alten Dame

"Gustav Klimt" ©Paul DivjakWINA – DAS JÜDISCHE STADTMAGAZIN 3_2015 | URBAN LEGENDS | PAUL DIVJAK

Eine Frau geht ihren Weg. Hell leuchtet ihr das symbolische Licht der Gerechtigkeit entgegen. Hinter ihr und ihrem Begleiter zeichnen sich die Schatten der Vergangenheit ab: Hollywood erzählt den Rechtsstreit Maria Altmann vs. Republik Österreich. — mehr —


Die Stille zwischen den Zeilen

WINA – DAS JÜDISCHE STADTMAGAZIN 07+08_2018 | URBAN LEGENDS | PAUL DIVJAK

„Vienna never left my heart“ (Ruth Weiss)

Wir sitzen in einem Innenstadtcafé, mein Freund, der Literat, und ich. Am Nebentisch gibt der französische Soziologe und Philosoph Didier Eribon, der mit seinen Memoiren Rückkehr nach Reims, Roman und soziologische Studie gleichermaßen, aktuell länderübergreifend Erfolge feiert, eben ein Interview. („Was schwierig war, war nicht die Homosexualität, sondern vielmehr die Tatsache, aus dem Arbeitermilieu zu kommen“, sagt er.)
Eribon ist mit Mitte 60, im besten Alter, die Aufmerksamkeit und Anerkennung, die ihm zukommt, die Aufnahme seines Werks in den Gegenwartskanon zu genießen. — mehr —